Es war die Neurologie, der sich Foerster primär zuwandte, ein Gebiet, das sich damals, aus der Inneren Medizin und der Psychiatrie kommend, als eigenes Fach erst zu entwickeln begann. Man beschränkte sich in jenen Jahren meist auf die Beschreibung von Krankheitsbildern, überließ die Grundlagenforschung den Physiologen und neigte in der Therapie zu völliger Resignation. Dieser deskriptiv-nosologische Ansatz, der Foerster aus seiner Pariser Lehrzeit mit Pierre Marie, Jules Déjerine und Joseph Babinski gut bekannt war und der die Kasuistik in den Vordergrund rückte, hat ihm allerdings wenig bedeutet. Foerster bekannte sich klar zu der damals noch jungen, morphologisch und funktionell orientierten Richtung. Ihn interessierten die anatomischen und physiologischen Grundlagen neurologischer Erkrankungen, sicherlich geprägt durch Carl Wernicke (ab 1885 außerordentlicher Professor für Psychiatrie und Nervenkrankheiten und ab 1890 Ordinarius in Breslau), mit dem er schon 1903 einen Atlas des Gehirns herausgab [9]. Er griff die analysierende Neurophysiologie auf, die durchaus existent war, etwa durch die Arbeiten von Gustav Fritsch und Eduard Hitzig oder David Ferrier und deren Stimulationsexperimente zur Beschreibung des Motorcortex. Er versuchte, diese Erkenntnisse für das Krankenbett nutzbar zu machen. Ausgangspunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit war immer die klinische Beobachtung, aus der eine Arbeitshypothese formuliert wurde, die experimentell überprüft und – zurück zum Krankenbett – in einen neuen therapeutischen Ansatz einmünden sollte. Otfrid Foerster hat Klinik und Grundlagenforschung zu einem neuen Typus eines „Neurologischen Instituts“ zusammengeführt, dem ersten seiner Art in Deutschland [10].
Foerster schätzte diesen analytischen Ansatz in der angelsächsischen Neurologie. Es waren 2 geniale Forscher, die ihn dort besonders beeindruckten: der Neurophysiologe Charles Sherrington und der Neurologe John Hughlings Jackson. Allerdings beruhten Sherringtons Untersuchungen auf tierexperimentellen Grundlagen, deren Übertragbarkeit auf den Menschen erst noch zu überprüfen war. Jacksons Arbeiten wiederum waren stark philosophisch geprägt, praktisch ohne Kontrolle durch die Grundlagenforschung. Trotzdem galten für Foerster die Arbeiten beider als „Bibel der Neurologie“, wie er selbst oft sagte [10]. Ob er damit mehr den Wahrheitsgehalt dieser Arbeiten oder deren philosophische Prägung meinte, muss offenbleiben.
Jedenfalls wollte Foerster eine auf den physiologischen Grundlagen des Menschen basierende Neurologie betreiben. Das schien ihm nur in Verbindung mit der Chirurgie erreichbar zu sein. Seine Idee war, dass die elektrische Reizung nervaler Strukturen und Beobachtung der Reizantworten während Operationen, die ja zur damaligen Zeit immer in lokaler Betäubung durchgeführt wurden, eine genaue funktionell-topografische Zuordnung verschiedener Strukturen erlauben müsste. Und so wurde Foerster – man könnte fast sagen zwangsweise – zum Neurochirurgen. Reizung und Beobachtung der Reizantwort stellten für ihn fortan das oberste Lokalisationsprinzip dar, und er nutzte jede Operation, um seine Erfahrungen zu erweitern [10].
Das Problem war nur, dass Foerster niemals durch eine chirurgische Schule gegangen war bzw. eine formelle neurochirurgische Ausbildung genossen hatte. Daher wurde er zunächst von allen Seiten skeptisch gesehen: von den Chirurgen, weil er das Operieren weitgehend autodidaktisch erlernte, und von den Neurologen, weil er sich überhaupt dazu hergab zu operieren. Das Fehlen des schulmäßig Exakten fiel v. a. bei der Freilegung des zu behandelnden Prozesses auf. Man war erstaunt, dass er die damals schon verfügbaren Hilfsmittel wie Sauger, Diathermie, Silberklammern und den elektrischen Bohrer, Hilfsmittel also, die ihm das Operieren sicher erleichtert hätten, nicht genutzt hat. Selbst der Aufenthalt bei Harvey Cushing im Jahr 1930 (Abb. 2), der ihn in persönlicher Wertschätzung zum „Chefchirurgen pro tempore“ am Brigham-Hospital in Boston ernannte, konnte ihn nicht motivieren, seinen Operationsstil zu ändern. Foerster ging jedoch mit der zu behandelnden Pathologie sehr vorsichtig und schonend um und hat damit den Mangel an Ästhetik im Äußeren durch penible Arbeit im Inneren kompensiert. So erreichte er in Verbindung mit seinen exzellenten anatomischen Kenntnissen bemerkenswerte Ergebnisse und erlangte den Ruf als Pionier in der Neurochirurgie [10].
Abb. 2Otfrid Foerster während seines Aufenthaltes bei Harvey Cushing am Peter Bent Brigham Hospital in Boston im Jahr 1930. (Aus [10], mit freundl. Genehmigung)
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